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Informationen zum Stück


Die Legende von Kra - AN ARCHETYPICAL SITUATION:

Das Stück „Kra – Lieder aus Ambraport“ basiert auf der gleichnamigen Legende von Kra, einer nicht-binären Person, die eines Tages – in einer Zeit, die sich sowohl vor als auch hinter unserer heutigen verorten lässt – in Ambraport auftaucht. In Ambraport, einer kleinen und mittlerweile halb verlassenen Hafenstadt, deren Blütezeit nur noch in den Erinnerungen und Liedern der älteren Gebliebenen existiert und einen knalligen Kontrast zeichnet zu der tristen Realität eines kleinen Städtchens, das schon seit geraumer Zeit sich selbst und seinem graduellen Verfall überlassen worden ist. Mit Kras Ankunft in Ambraport passiert ein Bruch in dem Alltag dieser Welt, die seit Langem keinen Impulsen von außen mehr ausgesetzt gewesen ist. Kra ist eine mystische, schwer greifbare Figur, die nicht spricht, aber alles in sich aufzusaugen scheint, und deren Herkunft und Beweggründe ungeklärt bleiben. Nach wenigen Tagen bereits wird deutlich, dass Kra vorhat, länger in Ambraport zu bleiben. Dies löst bei den meisten im Ort Unsicherheit und Skepsis aus, und bei allen einen gewissen Druck, sich zu positionieren. 

Die Legende von Kra existiert nur in mündlich überlieferter Form und zu dem Verlauf ihrer Geschichte kursieren verschiedene Versionen. Allen zu eigen ist, dass sich innerhalb des Zeitraums, den Kra in Ambraport verbringt, die Fronten verhärten. Es gibt Figuren in Ambraport, die Geheimnisse mit sich herumtragen. Durch Kras Anwesenheit kommen einige dieser tief vergrabenen Geschichten Stück für Stück ans Licht, was Spannungen und Ängste hervorruft. Auch häufen sich in allen Versionen der Legende rätselhafte Ereignisse, die seit Kras Ankunft in Ambraport eintreten – und die Frage, inwiefern Kra in diese Geschehnisse verwickelt sein könnte, spaltet die Meinungen im Ort. Parallel dazu beginnt sich mit der Zeit in Kra eine wachsende Wut zu regen, je tiefer Kra in das Leben der Ambraporter:innen Einblick erhält. Es wird vieles verschwiegen und unter den Tisch gekehrt, der Umgang miteinander ist geprägt von Zynismus und Misstrauen und über allem lastet die Schwere des Ungesagten. Die Natur rundherum befindet sich in einem dystopisch desolaten Zustand des Verfalls, auf den mit Resignation und Unberührtheit geantwortet wird. Das spröde Selbstbewusstsein der Ambraporter:innen scheint sich aus einer Version der Vergangenheit zu nähren, die gewaltige Lücken lässt und vieles ausklammert. 
Mit dem Tod des Stahlkappenattrappenverkäufers, eines angesehenen Mitglieds der Ambraporter Community, erreicht der Konflikt seinen ersten Höhepunkt, denn die meisten im Ort sind der Überzegung, dass Kra dafür verantwortlich zu machen ist. Die Anschuldigungen gegen Kra wiederum führen dazu, dass sich Kras angestaute Wut in dem verzweifelten Versuch entlädt, durch Brandstiftung ein Aufwachen und einen Neustart herbeizuführen.


Meta – A MYTHOPOEIC MANIFESTO:
 
Die Entscheidung, uns auf die Geschichte von Kra in Ambraport als eine fiktive Legende zu beziehen, ohne eine festgelegte „Original“-Fassung von ihr zu veröffentlichen, hat für uns eine wichtige politische Dimension. Sie zur Grundlage unserer Songs nehmen, als ob sie Teil des kulturellen Kanons wäre, ist für uns einerseits ein Mittel, um auf die Macht dominanter Narrative in unserer Gesellschaft zu antworten – eine Antwort in Form eines Gegenangebots. Wir können neue Geschichten schreiben und diese als Ausgangspunkte nehmen. Dass die Legende selbst unscharf bleibt, erhält ihr die Möglichkeit der Mutation – die Möglichkeit, verschiedene Formen anzunehmen und weitergesponnen zu werden. Zudem schaffen wir uns so einen Raum, um mit Phänomenen des Storytellings, zu experimentieren. Die Frage, welche Geschichte(n) wir erzählen, beinhaltet auch die Frage, welche Geschichte(n) wir auslassen.  Das Auslassen, die Lücke nehmen wir als unseren Ausgangspunkt und als primäre Ressource, das Fragment als unsere grundlegende Methode. 

Die Legende von Kra bedient sich eines archetypischen Narrativs: Das Eindringen eines Fremdkörpers in ein etabliertes System.  Kra, nicht-binär und stumm, sprengt bereits mit dem bloßen Erscheinungsbild die geltenden Kategorien und Normative. Der Umgang mit dem Fremden und Unbekannten ist ein Kerrmotiv des Stoffs, das wir auch in unserer Musik aufgreifen. Kra als Figur entzieht sich jedoch nicht nur einer klaren Einordnung, sondern verkörpert auch das konfrontative Element in der Geschichte. Mit Kras auflodernder Wut über die Realität einer zerstörten Welt und einer resignierten Gesellschaft, die über eine lange Zeit hinweg vieles unter den Teppich gekehrt hat, hält eine Entität in Ambraport Einzug, die eine gewaltige Sprengkaft birgt. Auch bei Kra geht es, im Unverständnis und der schmerzhaften Konfrontation mit der Realität, um die Suche nach Gründen und Erklärungen in der Vergangenheit, um die Suche nach den Lücken in der Geschichte.


Kra – Lieder aus Ambraport – A CONTEMPORARY FRAGMENTARY FOLK OPERA:

In der Materialsammlung Kra – Lieder aus Ambraport  bezieht sich Mo G. Beiküfner in Form von Text und Musik auf die Welt rundum Kra, Ambraport und die weiteren Figuren der Legende. Das Projekt besteht bereits seit ca. 8 Jahren und mit der Zeit ist diese Welt zu einem vieldimensionalen Gebilde gewuchert, in welchem Prosatexte, Lyrik, Theaterszenen, Rezitative, Lieder und Choräle viele verschiedene Handlungsstränge, Zeitebenen, Figuren und Perspektiven erzählen. Genretechnisch lässt es sich am ehesten als eine zeitgenössische Oper bezeichnen. Dabei hat sich das Prinzip des Fragmentarischen als grundlegende Arbeitsweise herauskristallisiert. Das Schreiben wird von einem permanenten Rechercheprozess begleitet und die Umsetzung mit der Band beeinflusst wiederum das Material. Wie es in der Natur von mündlich überlieferten Geschichten liegt, ist das Projekt so zu einer Art lebendigem Wandteppich geworden, voller loser Enden und multipler Bezüge, der sich selbst immer weiter webt.